Ich liebe meine Bücher die ich gelesen (und oft auch noch ungelesen) im Wohnzimmer archiviere. Ich mag Bücher und Bücherregale, sie machen ein Zimmer erst wohnlich. Aber ganz besonders mag ich mein Bücherregal. Weil ich vom Sofa aus über die Buchrücken schweifen kann und mich an die Geschichten erinnere, die dahinter stecken. Oft erwischen mich Bücher genau im richtigen Moment und die Geschichten bekommen eine Bedeutung in meinem Leben. Sie bewegen etwas in mir. In meinem vollgepackten Alltag gehen Einzelheiten aber schnell verloren und ich erinnere mich nur noch vage, warum mich eine Geschichte mal so gefesselt oder was sie in mir ausgelöst hat.
Ein Weilchen hab ich hin und her überlegt, wie ich Gelesenes für mich länger haltbar mache z.B. als Notizen in einem separaten Büchlein oder als Anmerkungen im oder am Buch selbst. Aber ich wusste, dass ich das nicht lange durchhalten und im Nachhinein auch nicht mehr darin stöbern würde. Wo also Gedanken sammeln, wenn nicht hier, auf dem Blog. Hier „blätter“ ich gerne durch, deshalb hab ich ja auch angefangen einen Blog zu schreiben, als grobmaschiges „Tagebuch“. So wird mir dann in Zukunft auch das ein oder andere Buch wieder begegnen. Ganz nebenbei erfahrt ihr, welche Bücher mir, mal mehr mal weniger, gut gefallen haben und ob es sich, meiner Meinung nach, lohnt einen Blick hineinzuwerfen.
Den Anfang meines virtuellen Bücherregals macht ‚Leere Herzen‘ von Juli Zeh. Das erste Buch, das ich 2018 gelesen habe. Meine Mutter hat es mir zu Weihnachten geschenkt. Zunächst hat mich der Klappentext nicht so besonders umgehauen aber ich liebe es, die Bücher, die zu Weihnachten unter dem Weihnachts-Strauch liegen, aufzuschlagen und sofort mit dem Lesen zu beginnen. Deswegen muss mein vorheriges Buch auch immer pünktlich zu Weihnachten fertig gelesen sein. Einer meiner kleinen Spleens als Notiz am Rande.
Ich legte also los, ohne große Erwartungen, es sollte irgendwie um die Zukunft gehen (finde ich immer schwierig, ist nicht mein Genre) und ein politischer Thriller sein (oha, das kann alles und nix heißen). Ich Verrats gleich jetzt, ich hab das Buch nicht mehr aus der Hand gelegt und war nach nicht mal einer Woche fertig.
Deutschland im Jahr 2025
In ‚Leere Herzen‘ hat sich die Protagonistin Britta in einer nicht allzu fernen Zukunft ihr Leben eingerichtet, sie ist desillusioniert und blickt mit reinem Pragmatismus auf die Dinge. Sie hat den Glauben an eine bessere Zukunft verloren. Ihr Leben besteht aus einem schicken Haus, das sie mit Mann und Tochter bewohnt. Ab und an treffen sie eine befreundete Familie, alles geht seinen geregelten Gang. Es wird klar, dass sie die Erfolgreiche in der Beziehung ist und den Lebensunterhalt der Familie bestreitet. Nur langsam erfährt man in den ersten Kapiteln womit Britta, die offiziell eine Heilpraxis betreibt um suizidgefährdeten Menschen zu helfen, tatsächlich ihr Geld verdient. Je näher man der Wahrheit kommt, desto faszinierter ist man: von Britta, von ihrer „Praxis“, von der ach so fernen und doch so nahen Zukunft.
Brittas Leben gerät aus den Fugen, als ihr einzigartiges Geschäftsmodell Nachahmer findet und sie mit ihrem Geschäftspartner nicht mehr ungestört agieren kann. Ein sowohl persönlicher als auch politischer Plot nimmt seinen Lauf. Geschickt werden gesellschaftliche Strömungen, die wir heute aus Funk und Fernsehen kennen, weiter gesponnen zu einer Realiät im Jahr 2025. Beim Lesen kommt einem das Beschriebene gleichermaßen befremdlich wie vertraut, zeitgenössisch wie futuristisch vor. Es ist diese Mischung aus Brittas Leben, ihrem persönlichem Dilemma und der politischen Brisanz, die das Buch so spannend macht. Denn obwohl man sich das alles nicht so recht vorstellen kann und mag, worüber Juli Zeh schreibt, weiß man doch, dass es von dem was wir heute erleben, gar nicht so weit weg ist. Terroranschläge, Menschen die sich nach nichts als Sicherheit in einer unsicheren Welt sehnen, Politiker die am liebsten nicht nur die Macht über ein Land sondern auch über die Medien und die Meinungsfreiheit hätten.
Juli Zeh schafft es auf den ersten Blick unsympathische Charaktere so dezent aber feinfühlig zu beschreiben, dass man gar nicht anders kann, als sie, wenn nicht mit Sympathie so doch irgendwie wohlwollend zu betrachten. Man möchte, dass sie in dieser unmöglichen Wirklichkeit es Jahres 2025 ihren Frieden finden ohne ihre Ideale verraten zu müssen. In einem Deutschland in dem alle Ideale von der BBB, der ‚Besorgte Bürger Bewegung‘, diktiert werden und es um nichts als Effizienz und Gleichschaltung zu gehen scheint um zumindest innenpolitisch wieder alles ins Lot zu bringen.
Man darf nicht den Prototyp eines Hollywoodthrillers erwarten. ‚Leere Herzen‘ ist ruhiger, langsamer und subtiler aber genau das macht es mitreißend. Ich bleibe Juli Zeh jedenfalls treu. Wie gut, dass ich noch „Unter Leuten“ ungelesen im Regal stehen hab. In meinem analogen und dann hoffentlich auch bald hier, in meinem virtuellen Bücherregal.
Das Buch und ich
Seit Gretas Geburt nehme ich viele Themen anders wahr. Das sind ökologische und gesundheitliche Fragen aber eben auch gesellschaftliche. Die Flüchtlingskrise 2016 und all die Entwicklungen seit dem lassen mich aufhorchen und so oft zweifeln, wie dieses Land und diese Welt für meine Kinder aussehen soll. ‚Leere Herzen‘ ist kein Trost, vielmehr fühle ich mich als hätte man mir einen Spiegel vorgehalten: Es liegt an uns, ob wir die Dinge geschehen lassen und damit Wut und Misstrauen den perfekten Nährboden bereiten. Ich will eine Meinung haben und diese Kund tun, sei es im Privaten oder über die Wahlbeteiligung. Ich muss eine gute Balance finden zwischen Bequemlichkeit und Selbstschutz, wieviel ich abblocke um mein seelisches Gleichgewicht nicht zu gefährden und wo ich ganz bewusst hinsehen will. Aber es geht nicht nur darum gut informiert zu sein, sondern auch darum, danach zu handeln. Manchmal im Großen aber meist im Kleinen und eher Verborgenen, denn der Ton macht die Musik unserer Gesellschaft.